Das Stockholm-Syndrom: Was ist das?

Das Stockholm-Syndrom ist ein Phänomen, das komplexer ist, als es scheint. Wir zeigen dir, was die Expert:innen darüber denken und woher der Begriff stammt.
Das Stockholm-Syndrom: Was ist das?
Laura Ruiz Mitjana

Geprüft und freigegeben von la psicóloga Laura Ruiz Mitjana.

Letzte Aktualisierung: 14. Februar 2023

Das Stockholm-Syndrom ist ein psychologisches Phänomen, bei dem ein Opfer oder eine Geisel Empathie mit Täter:in oder Geiselnehmer:in entwickelt. So gesehen klingt es nach einem recht einfachen Zustand, aber in Wirklichkeit ist das Stockholm-Snydrom komplexer als es scheint. Es ist weder in der neuesten Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) noch in der International Classification of Diseases (ICD-11) enthalten.

Wie Expert:innen betonen, wird das Stockholm-Syndrom von den Medien wahllos als Blankoscheck für Missbrauch, Gefangenschaft und Gewalt benutzt. Das hat dazu geführt, dass es verharmlost oder in Zusammenhängen verwendet wird, in die das Syndrom eigentlich nicht gehört. Wir sagen dir in diesem Artikel, was darüber bekannt ist und unter welchen Umständen es sich in der Regel manifestiert.

Merkmale des Stockholm-Syndroms

Das Stockholm-Syndrom ist eine psychologische Reaktion, mit der die Ereignisse des berühmten Norrmalmstorg-Raubes in Stockholm, Schweden, im Jahr 1973 beschrieben wurden.

Die vier Angestellten, die als Geiseln bei dem Banküberfall genommen wurden, entwickelten zum Teil Empathie für ihren Geiselnehmer und beschützten ihn sogar, weil sie Angst hatten, in eine gewalttätige Situation mit der Polizei verwickelt zu werden. Es war der Polizeipsychologe Nils Bejerot, der den Begriff “Stockholm-Syndrom” prägte und damals die schwedische Polizei bei der Razzia beriet.

Nur wenige Monate später, im Februar 1974, wurde die damals 19-jährige Patricia “Patty” Hearst von der linksradikalen Symbionese Liberation Army (SLA) entführt. Kurz nach ihrer Freilassung half Patricia ihren Entführern, mehrere Banken auszurauben. Während des Prozesses versuchten ihre Anwälte zu behaupten, Patricia habe das Stockholm-Syndrom entwickelt, aber das Gericht wies diese Behauptung zurück. Dadurch wurde das Phänomen weltweit bekannt.

Ganz allgemein bezieht sich das Syndrom auf eine Situation, in der eine Person eine emotionale Reaktion auf Entführer:innen und Peiniger:innen entwickelt. Dies geschieht in Bezug auf ihre Forderungen, Ziele und Absichten; es bezieht sich ebenso auf ihr Leben und ihre Persönlichkeit. Mit anderen Worten, die betroffene Person zeigt eine positive Bindung und nicht das Gegenteil.

Das Stockholm-Syndrom wird in den internationalen Diagnosehandbüchern nicht anerkannt, obwohl es oft als eine Art Posttraumatische Belastungsstörung oder Akute Belastungsreaktion angeführt wird. Manchmal wird es auch als Helsinki-Syndrom bezeichnet, obwohl dies auf ein Missverständnis zurückzuführen ist, das durch den Film Die Hard (1988) entstanden ist. Psychologe:innen, Psychiater:innen und Fachleute sind bei der Verwendung des Begriffs vorsichtig – im Gegensatz zur küchenpsychologischen Handhabung in der Öffentlichkeit.

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Symptome des Stockholm-Syndroms

Das Stockholm-Syndrom: Was ist das?
Selbst in den verzweifeltsten Situationen können manche Opfer als Abwehrmechanismus Empathie für ihre Entführer:innen entwickeln.

Das Syndrom äußert sich in vielen Formen. Dazu gehört jedoch stets das Erzeugen von Empathie beim Opfer für eine Person, die die Rolle des Entführers/der Entführerin oder des Peinigers/der Peinigerin übernimmt. Das typische Bild zeichnet sich also durch Folgendes aus:

  • Freundlichkeit oder Mitgefühl gegenüber dem Entführer oder der Entführerin.
  • Ablehnung und Misstrauen des Opfers gegenüber denjenigen, die versuchen, sie aus ihrer Bindung an die Peiniger:innen zu befreien (Polizist:innen, Freund:innen, Familie und andere).
  • Das Entwickeln von Mitleid mit der Situation des Entführers/der Entführerin.
  • Die Weigerung des Opfers, sich für die Freiheit zu entscheiden und dafür, die Täter:innen bis zum Ende zu begleiten.
  • Assimilierung der Werte, Ziele, Ideologie und Ziele der Entführer:innen

All diese Reaktionen entwickeln sich in der Zeitphase, in der die Verbindung zwischen Geisel und Entführer:in sowie Opfer und Opfer aufrechterhalten wird. Das Stockholm-Syndrom kann auch nach dem Bruch der Bindung fortbestehen und führt oft zu Schamgefühlen, Reue, Verwirrung sowie Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen, sozialem Rückzug, Gefühlen der Leere, Depressionen, Angstzuständen, Schlaflosigkeit usw.

Letztendlich führt das Stockholm-Syndrom oft zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Angststörung. Menschen, die daran erkranken, haben Schwierigkeiten, sich wieder ins gesellschaftliche Leben einzugliedern und mit Situationen in der Gegenwart zurechtzukommen, die sie als ähnlich denen der Vergangenheit empfinden. Häufig treten im Wachzustand oder im Schlaf Rückblenden (Flashbacks) auf.

Ursachen des Stockholm-Syndroms

Das Stockholm-Syndrom: Was ist das?
Die Menschen, die am meisten dazu neigen, das Stockholm-Syndrom zu entwickeln, sind diejenigen, die mit einem hohen Maß an Stress und Angst zu kämpfen haben.

Obwohl das Stockholm-Syndrom in den Medien als gut untersuchtes Phänomen dargestellt wird, gibt es in Wirklichkeit viele Wissenslücken, die es umgeben. Das ist auch bei den Auslösern der Fall, denn die Patient:innen, bei denen sie aufgetreten ist, reagieren auf unterschiedliche Profile. Es wurde versucht, das Stockholm-Syndrom mit sexuellem Kindesmissbrauch in Verbindung zu bringen, während einige Expert:innen es mit häuslicher Gewalt in Verbindung bringen.

Sicherlich entwickeln diejenigen, die mit solchen Situationen konfrontiert waren, das Stockholm-Syndrom mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, aber es kann auch unabhängig davon auftreten. Einige Forscher:innen vermuten, dass das Phänomen einfacher verständlich ist, als es scheint, da es allein auf den Lebenserhaltungstrieb zurückzuführen ist. Das heißt, wenn eine Geisel mit ihrem Geiselnehmer oder ihrer Geiselnehmerin sympathisiert, ist es viel unwahrscheinlicher, dass der Geisel etwas durch die Peiniger:innen angetan wird.

Es stimmt, dass bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen, damit sich das Syndrom manifestiert. Es muss zum Beispiel ein gewisses Maß an Kommunikation zwischen dem Täter/der Täterin und dem Opfer geben. Die Situation muss sich überdies über mehrere Stunden oder Tage erstrecken und der Geiselnehmer/die Geiselnehmerin muss ein gewisses Maß an Freundlichkeit und Einfühlungsvermögen für die Reaktion der Geisel entwickeln. Das Syndrom kann in den folgenden Kontexten auftreten:

  • Kriegsgefangenschaft.
  • Situationen von häuslicher Gewalt.
  • Gefangene in Konzentrationslagern.
  • Sektenmitglieder.
  • Opfer von sexueller Gewalt.

Es ist ebenso wichtig zu wissen, dass sich das Phänomen am häufigsten bei denjenigen zeigt, die eine Abneigung gegen die Polizei, die öffentliche Ordnung, die Gesellschaft oder das Gesetz entwickelt haben. Diejenigen, die das Gefühl haben, nicht vollständig geschützt zu sein, einer diskriminierten Gruppe anzugehören und von der Gesellschaft auf verschiedene Weise abgelehnt zu werden, neigen dazu, sich leichter mit ihren Entführer:innen zu verbinden.

Behandlungsalternativen

Da das Syndrom nicht eingehend untersucht wurde und nicht in international standardisierten Diagnose- und Behandlungshandbüchern enthalten ist, gibt es keinen Konsens darüber, wie damit umzugehen ist. Häufig wird eine psychologische oder psychiatrische Therapie gewählt, weil sich nach den Ereignissen Angstzustände und Posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln können.

Oft bleiben Empathie und Verbundenheit bestehen, nachdem die Situation der Gefangennahme oder Gewalt beendet ist, was das emotionale Wohlbefinden des Opfers beeinträchtigen kann. Nicht selten weigern sich die Betroffenen, mit der Justiz zusammenzuarbeiten, indem sie entweder vor Gericht nicht aussagen oder Beschwerdeverfahren einleiten. Die Unterstützung durch Familie, Freund:innen und Gesellschaft ist sehr hilfreich, um diesen isolierenden Reaktionen entgegenzuwirken.



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