Nomophobie, die irrationale Angst, ohne Handy zu sein
Der Begriff Nomophobie wird verwendet, um eine Reihe von Reaktionen und Gefühlen zu beschreiben, die mit der Angst einhergeben, nicht mit dem Mobiltelefon verbunden zu sein. Es leitet sich vom englischen „no mobile phone phobia“ ab und wurde erstmals 2008 von der britischen Post verwendet. Man schätzt, dass mehr als 50 % der Handynutzer weltweit an Nomophobie leidet oder gefährdet ist, sie zu entwickeln.
Die tatsächliche Prävalenz variiert je nach Alter, Geschlecht, sozialem Status, Art des Mobiltelefons und anderen Variablen. Dennoch handelt es sich um ein echtes Problem, das mit einer Verschlechterung des Wohlbefindens der Betroffenen verbunden ist. Hier erhältst du einen Überblick darüber, was Fachleute bisher über Nomophobie wissen und warum du die Aufmerksamkeit, die du deinen Geräten schenkst, einschränken solltest.
Welche Merkmale gelten für Nomophobie?
Nomophobie ist keine anerkannte Störung in psychiatrischen Diagnosehandbüchern. Tatsächlich betonen Fachleute, dass das Wort Phobie in dem Begriff selbst eine falsche Bezeichnung ist. Sie wurde damals auf der Grundlage der Kriterien für „Phobien vor bestimmten oder spezifischen Dingen“ beschrieben, die im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders in seiner vierten Auflage (DSM-IV, Stand 2008) enthalten sind.
Das Wort wird verwendet, um sich auf die Symptome des Unbehagens, der Nervosität oder der Angst zu beziehen, die dadurch ausgelöst werden, dass man nicht mit dem eigenen Mobilgerät verbunden ist. Der Begriff verbunden ist sehr allgemein und bezieht sich auf eine Vielzahl von Situationen: das Gerät nicht finden oder es nicht in der Nähe haben, es nicht auszuschalten und ständig den Bildschirm zu überprüfen. Sie gilt als eine Störung des 21. Jahrhunderts, die aus der Massifizierung der Informations- und Kommunikationstechnologien herrührt.
Vier definierende Merkmale einer Nomophobie:
Nomophobie steht in engem Zusammenhang mit anderen Phänomenen, die mit der Verwendung elektronischer Geräte einhergehen. Zum Beispiel das FOMO-Syndrom (Angst, in den sozialen Netzwerken etwas zu verpassen), die Sucht nach neuen Technologien, die Handysucht und andere. Tatsächlich werden all diese Begriffe manchmal synonym mit Nomophobie verwendet und umgekehrt. Forscher*innen schlagen vier charakteristische, definierende Merkmale vor:
- Angst oder Nervosität, nicht mit anderen Menschen kommunizieren zu können.
- Sorge, keine Verbindung herstellen zu können.
- Angst, nicht sofort auf Informationen zugreifen zu können.
- Unwillen, auf den Komfort mobiler Geräte zu verzichten.
Obwohl es jeden treffen kann, der mobile Geräte verwendet, ist es ein Problem, das vor allem in der Altersgruppe zwischen 12 und 18 Jahren auftritt. Die damit verbundenen Verhaltensweisen und Reaktionen sind in der folgenden Liste zusammengefasst:
- Unfähigkeit, das Mobiltelefon auszuschalten.
- Unfähigkeit, sich über einen längeren Zeitraum vom Gerät zu entfernen.
- Zwanghaftes Entsperren des Bildschirms auf der Suche nach Benachrichtigungen.
- Aufladen des Geräte-Akkus, auch wenn es objektiv noch nicht erforderlich ist.
- Wiederholte Überprüfung, ob das Gerät in der Nähe ist.
- Störung der zwischenmenschlichen Beziehungen durch die Nutzung von Mobiltelefonen.
- Soziale Isolation.
- Entwicklung von Stimmungszuständen wie Stress, Angst und Depression.
- Störung der Schlafgewohnheiten durch die Nutzung mobiler Geräte.
Dies sind nur einige Merkmale der Nomophobie. Die meisten Menschen entwickeln eine oder mehrere dieser Probleme mehr oder weniger stark. Wenn die Häufigkeit und Intensität pathologische Grenzen erreicht, spricht man von einer Nomophobie.
Welche Ursachen liegen der Nomophobie zugrunde?
Bei einer Nomophobie handelt es sich nicht um eine Phobie im eigentlichen Sinne. Obwohl sie einige gemeinsame Merkmale aufweisen, sind Phobien durch ein übergeordnetes Bedürfnis gekennzeichnet, sich von dem Objekt zu entfernen, das die Symptome auslöst. Im engeren Sinne passt Nomophobie also besser in das Spektrum anderer Angststörungen. Wir können drei Variablen hervorheben, die die Ausprägung von Nomophobie beeinflussen:
- Durchschnittliche Nutzung des Mobilgeräts während des Tages: Man geht davon aus, dass mehr als 98 % der jungen Bevölkerung das Mobiltelefon den ganzen Tag über zwischen 1 und 4 Stunden nutzt. Viele Menschen gehen über diese Nutzungsdauer weit hinaus, sodass sich mobile Endgeräte in der breiten Bevölkerung und insbesondere bei den Jüngsten als Teil der täglichen Routine etabliert haben.
- Vielfältige Nutzungsmöglichkeiten der Dienstprogramme: Mobiltelefone werden seit Jahren nicht nur zum Anrufen und Versenden von Nachrichten verwendet. Lernen, Videospiele spielen, die eigenen Sportstatistiken verfolgen, Investitionen tätigen, die eigene finanzielle Situation einschätzen, Fotos machen, persönliche Informationen teilen und vieles mehr sind Teil der heutigen Nutzung.
- Massifizierung der Technologie: Das Handy hat sich von einem Zusatzgerät im Alltag zu einem Hauptwerkzeug entwickelt. Viele Dinge unseres Alltags hängen ausschließlich vom Mobiltelefon ab, sodass du ohne ein Handy bei der Arbeit, in der Schule, in der Gesellschaft oder zu Hause nicht so funktionieren könntest, wie du es heute tust.
Die Kombination dieser Variablen führt dazu, dass eine Person die Reaktionen entwickelt, die eine Nomophobie ausmachen. Die introvertierte Persönlichkeit, die Fehlanpassung von Bindungspraktiken, das Vorhandensein von Angstzuständen oder depressiven Störungen und andere Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle bei der Manifestation.
Welche Folgen kann Nomophobie haben?
Die pathologische Abhängigkeit vom mobilen Geräten hat eine Reihe von Folgen für das Wohlbefinden des Betroffenen und seines Umfelds. Eine 2018 in Heliyon veröffentlichte Studie in englischer Sprache brachte beispielsweise Merkmale einer Nomophobie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, Persönlichkeitsstörungen zu entwickeln, in Verbindung – insbesondere der Entwicklung einer Zwangsstörung (OCD).
Tatsächlich haben OCD und Nomophobie viele Gemeinsamkeiten; sodass Nomophobie in bestimmten Kontexten ein Katalysator für ihre Entwicklung sein kann. Es ist auch bekannt, dass es sich negativ auf die subjektive Einschätzung von Glück, Selbstwertgefühl und Einsamkeit auswirkt. Dies liegt an der Verschlechterung der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Tatsache, dass man sich überwiegend in einer virtuellen Umgebung auszutauscht.
Eine übermäßige Beschäftigung mit mobilen Geräten kann sich negativ auf Arbeits- und Lerngewohnheiten auswirken, was womöglich zu einer erheblichen Leistungsminderung führt. Es wurde auch mit Wut, Reizbarkeit, emotionaler Instabilität, Kummer und Aggression in Verbindung gebracht. Kürzlich wurde es in einem 2021 in Nature and Science of Sleep veröffentlichten Artikel mit Schlafstörungen wie Schlaflosigkeit in Verbindung gebracht.
All dies lässt uns erkennen, dass das Ausmaß der Nomophobie sehr groß ist, da sie mit einer Verschlechterung des allgemeinen Wohlbefindens der Betroffenen verbunden ist. Es handelt sich also keineswegs um einen harmlosen Zustand und aufgrund der Dynamik der heutigen Gesellschaft ist es ein Problem mit hoher gesellschaftlicher Akzeptanz. Ebenso ist es eine Krankheit, die die Betroffenen nur ungern wahrhaben wollen oder für deren Behandlung sie Unterstützung suchen.
Was kann man dagegen tun?
Da es sich nicht um eine offiziell anerkannte Diagnose handelt, gibt es keine standardisierte Therapie für die Behandlung von Nomophobie. In den schwersten Fällen gilt der psychologische Ansatz als erste Wahl. So kann beispielsweise eine kognitive Verhaltenstherapie oder eine Konfrontationstherapie für die Betroffenen einen großen Fortschritt bedeuten.
Wenn der Facharzt oder die Fachärztin es für angemessen hält, kann der Einsatz von Medikamenten gegen Angstzustände erwogen werden. Eine Änderung der Lebensgewohnheiten ist sehr wichtig, wobei die Teilnahme an sozialen Aktivitäten und Bewegung von entscheidender Bedeutung ist. Eine objektive Einschätzung des tatsächlichen Verhaltens hinsichtlich des Mobiltelefons kann dabei helfen, die Bremse zu ziehen, wenn man die Situation noch selbst kontrollieren kann.
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