Was ist Polyamorie?
Die meisten Menschen auf der ganzen Welt praktizieren Monogamie. Das heißt, sie gehen Beziehungen zu jeweils nur einer Person ein. In den letzten Jahren sind Modelle aufgetaucht oder zumindest sichtbar geworden, die sich von herkömmlichen Beziehungen unterscheiden. Polyamorie ist vielleicht der wichtigste Trend von allen, der nicht frei von Mythen und Vorurteilen ist.
Der Begriff Polyamorie wurde Mitte der 1990er Jahre von der Church of All Worlds-Mitbegründerin Morning Glory Zell-Ravenheart geprägt. Polyamorie wurde zum ersten Mal in ihrem Manifest A Bouquet of Lovers verwendet und wird seitdem verwendet, um sich auf verschiedene Arten von Beziehungen zu beziehen. Sicherlich gibt es keine einheitliche Definition von Polyamorie – allerdings werden wir in den folgenden Absätzen versuchen, ihre allgemeinen Merkmale und einige Mythen zusammenzufassen.
Merkmale der Polyamorie
Polyamorie ist eine Form der einvernehmlichen Nicht-Monogamie (Consensual Non-Monogamy). Dieses Etikett bezieht sich auf exklusive romantische oder sexuelle Beziehungen mit nicht nur einer einzelnen Person mit vorheriger Zustimmung aller Beteiligten. Informell wird Polyamorie auch als offene Beziehung oder Common-Law-Beziehung bezeichnet.
Es gibt nicht viele Studien zur Polyamorie; teilweise liegt das daran, dass es keinen allgemeinen Konsens über die Definition oder Merkmale dieser Beziehungsform gibt. Jüngsten Schätzungen zufolge bezeichnen sich zwischen 0,6 % und 5 % der U.S.-Amerikaner als polyamorös. Generell ist in den letzten Jahren ein Trend zu verzeichnen, diese Art von Beziehung öffentlich zu machen und nicht nur privat zu halten.
Bücher wie The Ethical Slut (1997) und Polyamory: The New Love Without Limits (1997) trugen dazu bei, die Popularität des Begriffs zu festigen. Polyamorie wird definiert als eine nicht-monogame Beziehung, in der drei oder mehr Personen gleichzeitig eine romantische, emotionale oder sexuelle Beziehung führen.
Die wichtigsten Erscheinungsformen der Polyamorie
- Polyfidelity: bezieht sich auf Beziehungen, in denen jedes einzelne Mitglied als gleichberechtigt angesehen wird und emotionale und sexuelle Kontakte nur innerhalb der Grenzen der Beziehung erlaubt sind.
- Hierarchische polyamoröse Beziehungen: Hier wird zwischen primären und sekundären Beziehungen unterschieden. Das heißt, dass zwei oder mehr Partner leben in der Beziehung zusammen und teilen die meisten Erfahrungen miteinander. Eine oder weitere Personen haben weniger Verantwortung zu tragen. Erstere können sich den Haushalt, finanzielle Ausgaben, Kinderbetreuung und so weiter teilen; letztere tun dies nicht oder nur teilweise.
- Polygamie: Nicht alle sind damit einverstanden, Polygamie als eine Art Polyamorie zu betrachten, einige Menschen schon. Als Polygamie bezeichnet man Ehen zwischen mehreren Personen zur gleichen Zeit.
- Mono-polyamoröse Beziehungen: Ein Partner praktiziert offen Polyamorie, der andere aber nicht. Obwohl der eine Partner die Polyamorie nicht praktiziert, unterstützt er die polyamorösen Erfahrungen des anderen Partners.
Weitere Typen unterscheiden sich nach geometrischen Arrangements (mit Unterscheidung von Triade, Quadrille, Quintille, Sextille, Vau-Arrangement und anderen), Solo-Polyamorie, nicht-hierarchische Polyamorie und Gruppenehe. Die Definitionen, die wir gegeben haben, fassen ihre allgemeinen Merkmale zusammen, da es, wie wir festgestellt haben, keinen Konsens darüber gibt, was genau Polyamorie ist.
Was ist der Unterschied zwischen Polyamorie und „Swingen“?
Viele Leute denken, dass Polyamorie und Swingen synonyme Begriffe sind. Swingen, auch Partnertausch genannt (Teilnehmende an dieser Praxis werden als Swinger bezeichnet), bezeichnet die sexuelle Praxis, bei der Partner getauscht werden. Die emotionale oder romantische Ebene bleibt außen vor, sodass der Sex im Mittelpunkt steht.
Auf der anderen Seite sind Begegnungen zufällig und halten nicht immer lange an. Das heißt, der Tausch unter den Partnern kann nur einmal oder mehrmals erfolgen, alles variiert je nach der Chemie des Paares. Übrigens ist es nicht erforderlich, dass alle Teilnehmenden in einer Beziehung sind, obwohl mindestens einer von ihnen während des Austauschs in einer Beziehung ein muss. Dies gilt als Form der einvernehmlichen Nicht-Monogamie.
Bei der Polyamorie geht es nicht nur um Sex. Es gibt auch keinen Tausch an sich, da Romantik und Emotionen auf dem Weg dorthin vermittelt werden. Auch die Begegnungen sind in der Regel nicht zufällig; die Paare leben meist zusammen oder haben eine enge Beziehung zueinander. Kurz gesagt, es handelt sich um eine Beziehung mit den gleichen Merkmalen wie eine monogame Beziehung, aber mit mindestens einem zusätzlichen Partner.
Mythen über polyamoröse Beziehungen
Wie Fachleute betonen, erfahren polyamoröse Beziehungen ein hohes Maß an sozialer Stigmatisierung. In der Öffentlichkeit werden sie unter anderem als unerwünscht, schädlich für die Gesellschaft, mit einem höheren Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten behaftet, Untreue oder mit einem geringeren Glücksgefühl im Vergleich zu einer monogamen Beziehung assoziiert. Sehen wir uns diese und andere Mythen über Polyamorie an:
- Sexsucht: Menschen, die in einer polyamoren Beziehung leben, sind nicht nur wegen des Sex dabei. In der Tat gibt es Tausende von polyamoren Beziehungen, in denen Sex zweitrangig ist oder überhaupt nicht existiert (er ist affektiv, romantisch oder emotional). Es sei auch darauf hingewiesen, dass es sich bei der Sexsucht um eine Störung handelt, die in der Gesellschaft an sich nicht allzu häufig vorkommt.
- Untreue: Die Einvernehmliche Nicht-Monogamie trägt dieses Etikett nicht umsonst, denn um eine Beziehung als solche zu betrachten, müssen die Beteiligten die internen Verhaltensweisen billigen. In einer polyamoren Beziehung kann man nicht von Untreue sprechen, unabhängig davon, wie viele Partner beteiligt sind. Da es sich um eine einvernehmliche Übereinkunft handelt, ist der Begriff Untreue nicht anwendbar.
Weitere Mythen über Polyamorie
- Erhöhtes Krankheitsrisiko: In Studien wurde keine erhöhte Tendenz zu sexuell übertragbaren Krankheiten bei Paaren festgestellt, die sich für diese Art von Beziehung entscheiden. Es wurde auch kein erhöhtes Risiko für Unzufriedenheit, Machtkämpfe, Eifersucht usw. festgestellt. Die Wahrscheinlichkeit ist also genauso hoch wie in einer monogamen Beziehung.
- Nur homosexuelle Menschen praktizieren es: Zwar gibt es Hinweise darauf, dass Schwule, Lesben und Bisexuelle dieser Art von Beziehung eher zugeneigt sind, doch können auch Heterosexuelle sie praktizieren. Polyamorie kann also nicht nur mit bestimmten sexuellen Vorlieben in Verbindung gebracht werden.
Polyamorie kann sowohl ein Lebensstil als auch nur ein vorübergehendes Experiment sein. Das heißt, eine Person kann in dem Moment, in dem sie eine langfristige romantische oder sexuelle Beziehung eingeht, eine Beziehung zu zwei oder mehr Personen aufbauen. Die Dauer einer polyamorösen Verbindung kann im Gegenteil dazu kurzfristiger Natur sein. Das bedeutet, dass diejenigen, die irgendwann einmal in einer solchen Beziehung waren, sich in Zukunft auch für eine monogame Beziehung entscheiden können.
- Cardoso D, Pascoal PM, Maiochi FH. Defining Polyamory: A Thematic Analysis of Lay People’s Definitions [published correction appears in Arch Sex Behav. 2021 Aug;50(6):2775]. Arch Sex Behav. 2021;50(4):1239-1252.
- Conley, T. D., Moors, A. C., Matsick, J. L., & Ziegler, A. The fewer the merrier?: Assessing stigma surrounding consensually non‐monogamous romantic relationships. 2013.
- Moors AC, Gesselman AN, Garcia JR. Desire, Familiarity, and Engagement in Polyamory: Results From a National Sample of Single Adults in the United States. Front Psychol. 2021;12:619640. Published 2021 Mar 23.
- Rubel, A. N., & Burleigh, T. J. Counting polyamorists who count: Prevalence and definitions of an under-researched form of consensual nonmonogamy. Sexualities. 2020; 23(1-2): 3-27.