Was ist intellektuelle Demut?
Intellektuelle Demut ist die Tugend, das eigene Wissen einschätzen zu können, für das Wissen anderer empfänglich zu sein und mögliche Fehler im eigenen Wissen zu akzeptieren. Intellektuelle Demut ist ein relativ neuer Begriff, aber eigentlich wird er schon seit Jahrtausenden verwendet. Denk zum Beispiel an den berühmten Satz von Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Ganz einfach ausgedrückt ist intellektuelle Demut die Fähigkeit zu erkennen, dass man nicht alles über ein Thema weiß. Das Gegenstück dazu sind Stolz, Pedanterie und Ego-Verhalten. Intellektuelle Bescheidenheit hat viele Vorteile, sowohl für dich als auch für deine Mitmenschen. Wir erklären dir alles über diesen Begriff und geben dir einige Möglichkeiten, intellektuelle Demut zu praktizieren.
Merkmale intellektueller Demut
Das Wort Demut leitet sich vom lateinischen humilitas ab, das wiederum von humus (“Boden”, “Erde”) und humilis (“demütig”) abgeleitet ist. Es ist auch mit humiliare (“erniedrigen”) verwandt, d. h. mit der Handlung, sich auf den Boden zu werfen oder jemanden dazu zu bringen, sich als Zeichen der Anerkennung auf den Boden zu werfen. Demut ist also eine irdische Eigenschaft; weit entfernt von den Eigenschaften der Götter oder des Himmels.
Es gibt keine einheitliche Definition von intellektueller Demut, aber sie lässt sich eindeutig in zwei Bedeutungen zusammenfassen: Erstens die Fähigkeit, die Grenzen des eigenen Wissens oder der eigenen Kenntnisse zu erkennen; zweitens die Flexibilität, das Wissen anderer zu akzeptieren. Wie zu erwarten, sind die beiden Eigenschaften eng miteinander verknüpft. Tatsächlich sind die beiden Aspekte so sehr miteinander verknüpft, dass die eine ohne die andere nicht verstanden werden kann.
Forscher:innen zufolge steht intellektuelle Bescheidenheit in einem positiven Zusammenhang mit intellektueller Unabhängigkeit (d. h. der Ablehnung von Dogmatismus), dem Respekt für den Standpunkt anderer, dem Fehlen von intellektueller Überheblichkeit und der Offenheit, das eigene Wissen zu überprüfen. Expert:innen machen im Allgemeinen die kognitive Flexibilität für diese Tugend verantwortlich.
Kognitive Flexibilität ist die Fähigkeit einer Person, ihr Wissen und ihr Denken an ihre jeweilige Umgebung anzupassen. Diejenigen, die dazu in der Lage sind, sind freimütiger, wenn es darum geht, sich die Qualitäten dieser Art von Demut anzueignen. Diejenigen, die eher dogmatisch, unnachgiebig und intolerant veranlagt sind, verhalten sich eher verschlossen.
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Wie man intellektuelle Bescheidenheit übt
Es gibt Hinweise darauf, dass intellektuelle Bescheidenheit in positiver Weise mit dem Erwerb von neuem Wissen, intellektuellem Engagement, Neugierde und reflektierendem Denken zusammenhängt. Intellektuelle Bescheidenheit zu praktizieren ist nicht nur etwas, das anderen zugutekommt, sondern hat auch direkte Auswirkungen auf den Praktizierenden selbst. Hier sind einige Ideen, wie du dir diese Eigenschaften zu eigen machen kannst.
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1. Schätze die Sichtweise anderer
Intellektuelle Bescheidenheit lässt sich als Wertschätzung der Sichtweise anderer zusammenfassen. Das bedeutet nicht, dass du die andere Sichtweise stets akzeptierst oder immer mit der anderen Person übereinstimmst; es bedeutet einfach, dass du ihr zuhörst und sie nicht sofort zurückweist. Wenn du Letzteres tust, entscheidest du dich für die Annahme, dass alles, was von anderen Menschen kommt, intellektuell minderwertiger ist als das, was du bereits weißt.
Natürlich beziehen wir uns in diesem und anderen Ratschlägen nicht nur auf die akademische Ebene. Intellektuelle Bescheidenheit ist nicht nur auf Fachleute in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Psychologie oder Kommunikation beschränkt; sie ist etwas, das jeder praktizieren kann. Diese Empfehlung kann in fast allen Kontexten angewandt werden, und wenn du das tust, ist es aus intellektueller Sicht eine Übung in Demut.
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2. Erkenne, wenn du falsch liegst
Es ist nichts Falsches daran, einen Fehler zuzugeben. Im Gegenteil, das öffnet dir die Tür zu neuen Erkenntnissen, die die bereits gewonnenen noch verstärken werden. Zuzugeben, dass man Unrecht getan hat, ist eine der wichtigsten Eigenschaften einer intellektuell demütigen Person, denn es ist Teil des Aktes der Selbsterniedrigung (im irdischen Sinne vs. im edenischen (bezogen auf das goldene Zeitalter).
Je nach Persönlichkeit und Ego einer Person ist dies mehr oder weniger schwierig. Diejenigen, die eine angesehene Position innehaben, sind sicherlich weniger geneigt, den eigenen Fehler für sich zu akzeptieren. Das liegt vor allem daran, weil sie befürchten, von denjenigen bloßgestellt zu werden, die eine intellektuell unterlegene Position haben. Dieses Vorurteil aus dem Weg zu räumen, ist wichtig, wenn man seine eigenen Fehler eingestehen will.
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3. Überprüfe deine Meinungen und Überzeugungen anhand der Fakten
Es ist nicht ungewöhnlich, dass viele Menschen eine Idee dogmatisch übernehmen, ohne sie anhand der Fakten zu überprüfen. Es ist auch möglich, dass nur ein Teil der Fakten den Tatsachen gegenübergestellt wurde, nicht die Gesamtheit. Eine der schnellsten Möglichkeiten, eine Idee zu testen, ist, sie in die reale Welt zu bringen. Nur so kann sie den “Gültigkeits-Test” bestehen, und als nützlich oder unproduktiv angesehen werden.
Die Übung, das Gelernte immer wieder mit der Realität zu vergleichen, ist nützlich, um Dogmatismus zu vermeiden. Sie ist auch nützlich, um herauszufinden, dass es funktionalere Wege gibt, ein Problem anzugehen. Es ist wahrscheinlich, dass eine Idee in der Theorie perfekt ist; aber in der Praxis gibt es effizientere Möglichkeiten, sie zu interpretieren.
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4. Beziehungen zu Menschen mit anderen Überzeugungen
Eine gängige Praxis vieler Menschen ist es, Beziehungen zu Menschen abzulehnen, die nicht direkt ihre Ideale teilen. Wer mit den Linken sympathisiert, scheut “rechte” Freunde, wer Atheist ist, meidet Beziehungen zu gläubigen Personen und so weiter.
Das sind nur klischeehafte Beispiele, aber es lohnt sich, zu überprüfen, wie tolerant du im Umgang mit jemandem bist, der deine Weltanschauung nicht teilt.
5. Sei im Umgang mit anderen nicht arrogant
Es gibt viele Möglichkeiten, Arroganz zu zeigen. Meistens ist es die nonverbale Kommunikation, die Arroganz vermittelt, aber nicht die Rede selbst. Ein hochmütiger Blick, herablassende Gesten und verurteilendes Schweigen sind einige Beispiele dafür, wie du jemanden mit der Vorstellung “erdrücken” kannst, dass du mehr weißt als er oder sie.
Selbstherrlichkeit ist das Gegenteil von intellektueller Demut; sie ist auch das Gegenteil davon, neues Wissen zu erwerben und kritisch zu denken. Wer denkt, dass er schon alles weiß, wird nicht bereit sein, Neues zu lernen, und wird stets der Meinung sein, dass er oder sie mehr weiß als andere. Überprüfe sowohl deine Sprache als auch deine Kommunikation durch Gesten. Bitte auch andere, ihre Einschätzung abzugeben, damit du eine objektivere Perspektive erhältst.
6. Stelle das, was du weißt, dem gegenüber, was du noch lernen musst
Wir haben diesen Weg mit einem Zitat von Sokrates’ berühmtem Satz begonnen und werden ihn am Ende noch einmal in Erinnerung rufen. Das, was du weißt, mit dem zu vergleichen, was du nicht weißt, ist zweifellos eine Übung in Vorsicht und intellektueller Bescheidenheit.
Auf diese Weise wirst du auch entdecken, dass es unmöglich ist, alles in dieser Welt zu wissen. Es gibt Menschen, die in manchen Bereichen mehr wissen als du, und du wirst in anderen mehr wissen. Keiner hat das absolute Wissen.
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7. Bleib aufgeschlossen
Der letzte Tipp, den du in die Praxis umsetzen kannst, ist, aufgeschlossen zu bleiben. An und für sich klingt es sehr einfach, aber für jemanden, der es gewohnt ist, die Sichtweise anderer abzulehnen, ist es eine Herausforderung. Schließe nicht innerlich sofort die Tür, wenn du Dinge lernst, die deiner bisherigen Meinung widersprechen. Wir versichern dir, dass du mehr als einmal überrascht sein wirst.
Die Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der man heutzutage auf Wissen zugreifen kann, hat unglücklicherweise die Aneignung von pedantischen, kapriziösen und überlegenen Haltungen erleichtert. Das ist etwas, das wir täglich erleben, sogar in der virtuellen Welt. Intellektuelle Bescheidenheit ist ein Ventil, das die Menschen auf den Boden der Tatsachen zurückholt.
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