Sexuelles Verlangen im Alter
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sexuelle Gesundheit als „einen Zustand des körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität; und nicht nur als das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen“. Es ist bekannt, dass das Altern mit einer Reihe von Veränderungen der sexuellen Gesundheit zusammenhängt, auch wenn diese im Allgemeinen sehr missverstanden werden. Deshalb überprüfen wir, was Wissenschaftler*innen über das sexuelle Verlangen im Alter zu sagen haben.
Sicherlich gibt es in der Bevölkerung ein Tabu oder eine Skepsis, wenn es darum geht, über sexuelles Verlangen im Alter oder direkt in Bezug auf sexuelle Erfahrungen zu sprechen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Mensch streng genommen nie zu alt ist, um ein glückliches und gesundes Sexualleben zu führen. Natürlich durchläuft die Sexualität im Alter eine Reihe von kontextabhängingen Veränderungen.
Gibt es sexuelles Verlangen im Alter?
Bei jüngeren Menschen herrscht allgemeiner Konsens darüber vor, dass ältere Menschen ihr sexuelles Verlangen verlieren oder dass sie körperlich nicht mehr in der Lage sind, Geschlechtsverkehr zu haben. Dies kann dazu führen, dass viele ältere Erwachsene Schuldgefühle im Zusammenhang mit dem Ausdruck ihres sexuellen Verlangens entwickeln oder Gefühle einfach verdrängen. Es überrascht wenig, dass das sexuelle Verlangen auch im Alter vorhanden ist, wenn auch mit etwas anderen Beweggründen.
Natürlich steht das Vergnügen im Mittelpunkt der sexuellen Erfahrungen in diesem Lebensabschnitt, aber auch Vorstellungen von Loyalität, Bewunderung, Zuneigung, Leidenschaft, Romantik, Engagement und anderen.
Das Gleiche gilt für die Bestätigung des Selbstwertgefühls, des Selbstwerts, der körperlichen Fähigkeiten und des subjektiven Glücks. All das kommt ins Spiel, wenn es um das sexuelle Verlangen im Alter geht.
Schätzungen zufolge sind mehr als 80 % der Erwachsenen zwischen 50 und 90 Jahren sexuell aktiv. Zwar nimmt die Häufigkeit sexueller Aktivität mit zunehmendem Alter ab, dies bedeutet jedoch nicht, dass das sexuelle Verlangen im Alter vollständig verschwindet. Die Sexualität im Alter ist freilich durch eine Reihe altersbedingter Faktoren des “dritten Lebensalters” bedingt.
Sexuelles Verlangen im Alter und sexuelle Dysfunktion
Mit zunehmendem Alter nimmt die Prävalenz einiger Krankheiten zu. Expert*innen warnen davor, dass mehr als 50 % der reiferen Erwachsenen ihre sexuellen Aktivitäten aufgrund einer sich verschlechternden Gesundheit aussetzen.
Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Arthritis zählen zu den größten Beeinträchtigungen der Sexualität im Alter.
Obwohl das sexuelle Verlangen etwas abnimmt, bleibt es im Alter auf einem Niveau, das für eine stabile sexuelle Gesundheit ausreicht. Neben den oben genannten Gesundheitszuständen gibt es jedoch auch solche, die mit sexueller Dysfunktion zusammenhängen. Wir stellen die nach Ansicht von Forschenden wichtigsten für jedes Geschlecht vor.
Sexuelle Gesundheit und Alterung bei Männern
Die erektile Dysfunktion ist die wichtigste Form der sexuellen Dysfunktion bei älteren Männern. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 70 % der Männer über 70 mit einem gewissen Grad an erektiler Dysfunktion zu kämpfen haben.
Dieser Prozentsatz sinkt bei den 60-Jährigen auf 45 % und bei den 40-Jährigen auf 15 %. Männer, die fettleibig sind, Diabetes oder Bluthochdruck haben, an Herzerkrankungen leiden und bestimmte Medikamente einnehmen (Thiazid-Diuretika, Antidepressiva, Betablocker und andere) sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt.
Andererseits können körperliche Inaktivität, Gewohnheiten wie Rauchen oder Alkoholkonsum und die Ernährung das Auftreten einer erektilen Dysfunktion verstärken. Die zweithäufigste Komplikation ist der Hypogonadismus.
Dies bezeichnet die Verringerung des Testosteronspiegels. Obwohl der Hormoanrückgang nicht so stark ist wie bei Frauen, kann er dem Sexualtrieb, den sexuellen Gedanken und dem Vergnügen im Wege stehen. Beide Erkrankungen beeinträchtigen das sexuelle Verlangen im Alter.
Sexuelle Gesundheit und Alterung bei Frauen
Die Menopause ist das Haupthindernis beim weiblichen sexuellen Verlangen. Veränderungen in der Hormonproduktion führen unter anderem zu Scheidentrockenheit, verminderter Gleitfähigkeit bei sexueller Aktivität und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) sowie zu neurologischen und psychosexuellen Veränderungen.
Zu den letzteren gehören Beeinträchtigungen der sexuellen Leistungsfähigkeit, verminderte Libido, Reizbarkeit und Anorgasmie hervor. Andererseits ist die vulvovaginale Atrophie (VVA) die zweithäufigste Komplikation im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit und dem Älterwerden bei Frauen.
Schätzungen zufolge entwickeln 4 % der Frauen mit einer frühen Menopause und 47 % der Frauen mit einer späten Menopause diese Krankheit.
Infolgedessen wird das Vaginalepithel dünner. Dies führt zu einer Verringerung der Zellen in der Vagina, was wiederum den pH-Wert erhöht und die natürliche Flora verändert.
Scheidentrockenheit, Belastungsinkontinenz, Reizungen, häufige Harnwegsinfektionen, Blutungen nach dem Geschlechtsverkehr und Schmerzen sind einige der damit verbundenen Komplikationen. Diese Faktoren stehen dem sexuellen Verlangen im Alter im Wege.
Dieser kurze Überblick ist nützlich, um zu verstehen, dass ältere Erwachsene sexuelle Wünsche und Triebe haben, auch wenn diese durch soziale, emotionale und physiologische Faktoren bedingt sein können.
Entgegen der landläufigen Meinung lässt sich für viele dieser Probleme eine Lösung finden. Wenn du Probleme mit Ihrer sexuellen Gesundheit hast (wir verweisen auf die eingangs gegebene Definition), solltest du nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
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