Können Männer und Frauen Freunde sein?
1989 kam die romantische Komödie „Harry und Sally“ ins Kino. Mit Billy Crystal und Meg Ryan in den Hauptrollen brachte der Film ein uraltes Dilemma auf die große Leinwand: Können Männer und Frauen wirklich Freunde sein? Der Film war ein großer Erfolg beim Publikum und wurde von der Kritik ausgiebig gelobt. Zudem hinterließ er uns unvergessliche Szenen wie die “Fake-Orgasmus-Szene” in Katz’s Delicatessen. Nach 96 Minuten wird die Frage im Film schlussendlich beantwortet, aber was sagen Studien und Fachleute dazu?
Landläufig wird gerne angenommen, dass eine Freundschaft zwischen Mann und Frau unmöglich ist, da sie sich früher oder später auf emotionaler oder sexueller Ebene annähern. Dutzende von Studien haben sich mit dieser Frage beschäftigt und festgestellt, dass Männer und Frauen eine freundschaftliche Beziehung unterschiedlich bewerten. Mal sehen, wie viel an der These dran ist, dass es keine Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau geben kann.
Freundschaften: Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Eine 2015 in PLoS One veröffentlichte Studie ergab, dass Frauen dyadische, also intensive soziale Freundschaften bevorzugen, während Männer Freundschaften mit anderen Männern sympathischer finden. Wie die Belege zeigen, werden Präferenzen für eine Freundschaft bei beiden Geschlechtern im Hinblick auf das Potenzial für Wechselseitigkeit und die Bereitschaft verstanden, eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung einzugehen.
Ein 2011 im Journal of Psychology veröffentlichter Artikel stellte fest, dass Frauenfreundschaften im Gegensatz zu Männerfreundschaften tendenziell hochwertiger und weniger konfrontativ sind. Die Forscher fanden wiederum heraus, dass Männer bei der Bewertung der Kriterien einer guten Freundschaft größere Diskrepanzen aufweisen, während bei Frauen die wechselseitige Freundschaft ausgeglichener ist.
Im Allgemeinen ist zwischenmenschliche Chemie einer der Vermittler einer Freundschaftsbeziehung. Es gibt viele Variablen, die bei der zwischenmenschlichen Chemie ins Spiel kommen, aber Fachleute heben fünf der wichtigsten hervor:
- Gegenseitige Offenheit.
- Gemeinsame Interessen.
- Persönlichkeitsaspekte.
- Ähnlichkeit (Ideen, Geschmack, Alter und andere Faktoren).
- Körperliche Anziehung.
Bei der Bewertung dieser Kriterien gibt es individuelle Unterschiede sowie geschlechtsspezifische Unterschiede. Beispielsweise schätzen Männer die körperliche Anziehung und das gegenseitige Interesse stärker, Frauen die Ähnlichkeiten zwischen beiden Beteiligten und die gegenseitige Offenheit. All diese Studien sind nützlich, um zu dem Schluss zu kommen, dass Männer und Frauen Freundschaftsbeziehungen sehr unterschiedlich auffassen.
Freundschaft vermittelt bekanntlich Zufriedenheit und allgemeines Wohlbefinden im Leben. Diejenigen, die einen größeren und stabileren Freundeskreis haben, berichten von einem größeren Wohlbefinden als diejenigen, die nicht über dergleichen verfügen. Ist eine Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau angesichts der aufgezeigten Unterschiede also wirklich möglich?
Gibt es Freundschaft zwischen Mann und Frau?
Wenn dieses Dilemma angesprochen wird, verweist man gerne auf Freundschaft Plus (F+). Also auf Freundschaftsbeziehungen, in denen gelegentliche oder wiederkehrende intime Begegnungen zur Tagesordnung gehören, ohne dass man sich verpflichtet fühlt.
Eine 2011 im Journal of Sex Research veröffentlichte Studie fand signifikante Unterschiede zwischen den Absichten und Erwartungen zwischen Männern und Frauen in Bezug auf solche Beziehungen. Wir fassen ihre wichtigsten Schlussfolgerungen zusammen:
- Sex ist die Hauptmotivation, aus der sich Männer für eine Freundschaft Plus entscheiden.
- Die anfängliche Motivation bei Frauen ist überwiegend emotionaler Natur.
- Männer hoffen, dass sich die Freundschaft Plus (“friends with benefits”) über Monate oder Jahre ausdehnt (das heißt, dass sich im Laufe der Zeit nichts daran ändert).
- Frauen warten darauf, dass sich die F+ zu einer “formelleren” Beziehung entwickelt oder auch im Gegenteil verwässert und reine Freundschaft bleibt.
- Sowohl Männer als auch Frauen zeigen ein größeres Engagement für die Freundschaftsebene als für die emotionale oder sexuelle Ebene.
Was bedeutet Freundschaft für beide Geschlechter?
Auch die Variablen, die das Entstehen von Freundschaft Plus begünstigen, unterscheiden sich je nach Geschlecht, aber am Ende ist die Freundschaft für beide das Wichtigste. Dies impliziert, dass sowohl für Männer als auch für Frauen Freundschaft Vorrang vor anderen Aspekten hat. Diese Voraussetzung ist nützlich, beide Partner unabhängig von ihren Unterschieden einander näherzubringen.
Trotzdem, und wie du es sicherlich schon ahnst, gibt es durchaus Freundschaft zwischen Mann und Frau. Dies bedeutet natürlich nicht, dass sich im Laufe der Zeit keine emotionale oder sexuelle Annäherung entwickelt. Viele Freundschaften zwischen Männern und Frauen werden auf diese Weise enden, aber andere einfach auch nicht. Sicherlich haben die meisten unserer Leser*innen Erfahrungen in beide Richtungen gemacht.
Das beste Beispiel findet sich im Film “Harry und Sally” selbst. Harry beteuert von Anfang an, dass Männer und Frauen keine Freunde sein können, während Sally das Gegenteil denkt.
Bis zum Ende des Films scheint Sallys Argument stichhaltig zu sein, aber schlussendlich heiraten die beiden. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass es natürlich auch eine solide und stabile Freundschaftsebene zwischen Männern und Frauen geben kann.
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