Desorganisierte Bindung: Was ist das?
Wenn Kinder eine Erfahrung machen, die ihnen Angst, Kummer oder Frust bereitet, wenden sie sich an ihre Eltern, um Unterstützung zu erhalten. Die Art und Weise, wie Eltern darauf reagieren, trägt dazu bei, die Art der Bindung zu formen, die Kinder sich selbst und anderen gegenüber zeigen. Eine liebevolle und rechtzeitige Reaktion führt zu einer sicheren Bindung, während eine kalte und unzeitige Reaktion der Eltern zu einem Bindungstyp führen kann, der als “desorganisiert” bekannt ist.
Desorganisierte Bindung ist ein vierter Bindungstyp, der von Mary Main und Judith Solomon in den 1980er Jahren vorgeschlagen wurde. Dieser ergänzt die anderen Bindungstypen, wie die bereits erwähnte sichere, die vermeidende und die ängstliche Bindung. Wie zu erwarten, hat dieser Bindungsstil vielfältige Auswirkungen auf das Erwachsenenleben, deshalb gehen wir auf seine Merkmale und möglichen Ursachen ein.
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Merkmale der desorganisierten Bindung
Die desorganisierte Bindung, auch bekannt als “desorientierte Bindung”, wurde in folgendem Kontext vorgeschlagen: Es ging darum, die Reaktionen von Kindern bewerten. Die Situation, die geschaffen wurde, war das vorübergehende Verlassen und die anschließende Rückkehr der Eltern in einem kontrollierten Kontext (auch bekannt als “Ainsworth’s strange situation procedure”). Expert:innen beschreiben 7 charakteristische Merkmale dieser Art von Bindung angesichts eines solchen Experiments:
- Sequentielles Zeigen von widersprüchlichem Verhalten.
- Gleichzeitiges Zeigen von widersprüchlichem Verhalten.
- Ungezielte, schlecht gesteuerte oder völlig unvollständige Bewegungen.
- Unwillkürliche, unzeitgemäße Bewegungen und abnormale Körperhaltungen.
- Erstarren oder Stillstand beim Anblick der Eltern oder der Betreuungsperson.
- Ängstliches Verhalten gegenüber den Eltern oder der Betreuungsperson.
- Offensichtliche Anzeichen von Desorientierung oder Desorganisation nach der Rückkehr.
Das heißt, Kinder reagieren desorganisiert, desorientiert und sogar zögerlich auf die Rückkehr ihrer Eltern, nachdem diese sie kontrolliert verlassen haben. Dies veranlasste die beiden Forscherinnen, eine neue Art von Bindungsstil vorzuschlagen.
Wie sie in einem Aufsatz Anfang der 1990er Jahre postulierten, ist das bestimmende Merkmal der desorganisierten Bindung demnach das Fehlen einer kohärenten Strategie, um in Stresssituationen auf eine Bezugsperson zu reagieren.
Es handelt sich um einen sehr unregelmäßigen Bindungsstil, da sowohl seine Ursachen als auch seine Folgen im Erwachsenenleben sehr vielfältig sein können.
Ursachen für desorganisierte Bindung
Die ursprüngliche Hypothese über die Entwicklung der desorganisierten Bindung war, dass sie eine Folge von Erfahrungen mit Missbrauch, Gewalt, Traumata usw. in der frühen Kindheit ist. Aus diesem Grund zögern Kinder, sich in einer Situation, die Not oder Angst auslöst, an die Eltern oder Bezugspersonen zu wenden.
Sie sehen sie als eine Figur, die ihnen Sicherheit und Trost bietet, aber auch als eine, die ihnen schaden kann. Dadurch entsteht diese Ambiguität von Annäherung und Flucht.
In einem Artikel, der 1999 in der Zeitschrift Psychoanalytic Inquiry veröffentlicht wurde, schlugen die Autoren jedoch eine zweite Möglichkeit zur Erklärung dieses Bindungsstils vor: Eltern oder Bezugspersonen haben selbst traumatische Erfahrungen oder einen unverarbeiteten Verlust erlebt.
Auch wenn es keinen expliziten physischen oder psychischen Missbrauch und keine Gewalt gibt, beunruhigen ihre bedrohlichen Haltungen oder Verhaltensweisen das Kind und führen dazu, dass es eine desorganisierte Bindung zeigt (sich ihm also annähern und gleichzeitig fliehen will).
Obwohl sich diese Art der Bindung auch in Kontexten ausdrücklicher Gewaltlosigkeit manifestieren kann, ist sie in diesen Kontexten häufiger anzutreffen.
Kinder, die körperliche oder psychische Misshandlung erlebt haben oder traumatische elterliche Ereignisse miterlebt haben, in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen sind und mit Streit und Konflikten zu kämpfen hatten, entwickeln mit größerer Wahrscheinlichkeit eine desorganisierte Bindung.
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Folgen einer desorganisierten Bindung im Erwachsenenleben
Wie zu erwarten, hat der Bindungsstil vielfältige Auswirkungen auf ein funktionierendes Erwachsenenleben. Wir zeigen einige der Möglichkeiten auf, wie der Bindungstyp die emotionale und soziale Gesundheit einer Person beeinträchtigen kann.
Risiko der Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen
Unsichere Bindungen werden als Risikofaktor für die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen angesehen. Einige Expert:innen haben sie sogar als mögliche Erklärung für die Borderline-Persönlichkeitsstörung vorgeschlagen.
Neben der Borderline-Persönlichkeitsstörung haben Menschen mit diesem Bindungsstil ein erhöhtes Risiko, eine vermeidende Persönlichkeitsstörung, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, eine antisoziale Persönlichkeitsstörung und weitere zu entwickeln.
Veränderte Wahrnehmung von Berührungen
In einer 2020 in Scientific Reports veröffentlichten Arbeit wurde festgestellt, dass Menschen mit desorganisierter Bindung liebevolle Berührungen (Berührungen, Kuscheln usw.) als unangenehmer empfinden als Menschen mit sicherer Bindung. Diese veränderte Wahrnehmung kann dazu führen, dass sie diese Art von Kontakt scheuen und auch vermeiden, ihn selbst auszudrücken.
Schlechte soziale Anpassung
Es gibt auch Hinweise darauf, dass diese Art von Bindung zu einer schlechten sozialen Anpassung der Betroffenen führt. Sie haben Probleme, sich in die Gesellschaft zu integrieren, Freundschaften zu schließen, eine stabile Beziehung zu führen, einen Job zu finden usw.
Dies kann dazu führen, dass sie sich zurückziehen und soziale Kontakte meiden, was wiederum zu anderen Komplikationen (Depressionen usw.) führen kann.
Das Risiko besteht, dissoziative Symptome aufzuweisen
Einige Expert:innen warnen vor der Manifestation dissoziativer Symptome als Folge der desorganisierten Bindung. Gedächtnisverlust, die Annahme einer verworrenen Interpretation der Realität, die Wahrnehmung der Personen im Umfeld als unwirklich und das Gefühl, vom eigenen Körper und den eigenen Gefühlen getrennt zu sein, sind einige Merkmale der Dissoziation.
Wie zu erwarten, kann eine Person mit diesem Bindungsstil bei dem eigenen Kind dessen Entwicklung während der Elternschaft fördern. Angesichts der Folgen für das Erwachsenenleben sollte bei drastischen Beeinträchtigungen im Alltag erwogen werden, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Insbesondere eine psychologische Therapie kann die Antwort auf die Auswirkungen sein, die frühkindliche Erfahrungen auf Einstellungen, Gedanken und Verhalten im Erwachsenenalter haben.
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